Stress und Stressbewältigung
- Anabel Seseke
- 12. Apr. 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 26. Apr. 2023
Wir leben in einer schnellen Welt, die ihren Bürger*innen vieles abverlangt. Prozesse und Abläufe im Privaten sowie im Beruflichen werden immer weiter optimiert und die Anforderungen steigen.
Um dem ewigen Wachstum gerecht zu werden, müssen immer weniger Menschen immer mehr Leistung erbringen, wodurch der Arbeitsstress sich intensiviert. Die Aufgaben für jede*n Einzelne*n werden währenddessen vielfältiger und komplexer. Der Zeitdruck hat sich vermehrt und die Anforderungen wachsen (vgl. Ostermann, 2010, S. 28). Es entsteht ein Gefühl von Stress bei den Individuen in der Gesellschaft. Zu Stress gibt es verschiede Definitionen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schreibt: „Unter Stress wird die starke Beanspruchung eines Organismus durch innere oder äußere Reize verstanden. Die evolutionär betrachtet lebenswichtige Aktivierung des Organismus in Bedrohungssituationen ist heutzutage häufig mit negativen Auswirkungen für Körper und Psyche verbunden.“ (s. Ernst et. al, 2022).
Die Anzahl von Krankmeldungen auf Grund psychischer Erkrankungen bei der Arbeit hat sich seit 1997 vervielfacht. Diese Zahlen gehen aus den Daten der DAK-Gesundheit hervor (vgl. DAK).
Neben einem unbehaglichen Gefühl wird dauerhafter Stress mit einer ganzen Reihe von Folgeerkrankungen in Verbindung gebracht. Neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann sich Stress auch negativ auf den Verdauungstrakt auswirken. Stress begünstigt Hauterkrankungen, Entzündungen im Körper, erhöht das Risiko auf Diabetes, Hautausschläge und Neurodermitis. Außerdem kann Stress zu Schlafstörungen, Depressionen und Burnout führen.
Durch eine Studie aus dem Jahr 2018 von der University of Edinburgh wurde festgestellt, dass viele Folgeerkrankungen schon bei niedrigem oder mittelmäßigem Stresslevel ein deutlich höheres Risiko bürgen. Somit sorgt eine Minimierung des Stresslevels für eine Vorbeugung von chronischen Erkrankungen (s. Zentrum der Gesundheit, 2022).
Die oben aufgeführten Erkrankungen sind gute Gründe dafür Dauerstress als ernstzunehmende Gefährdung anzuerkennen. Aus dieser schwerwiegenden gesundheitlichen Gefährdung leitet sich meines Erachtens ein dringender Handlungsbedarf ab.
Neben individuellen gesundheitlichen Folgen ist auch die wirtschaftliche Last nicht zu unterschätzen: Statistische Erhebungen des Unternehmens Statista zeigen einen Anstieg der Kosten für Arbeitgeber auf Grund kranker Mitarbeiter*innen. 37,3 Milliarden Euro kosteten kranke Mitarbeiter*innen im Jahr 2010 die deutschen Unternehmen. Im Jahr 2014 beliefen sich die Kosten auf 50,1 Milliarden Euro, während im Jahr 2018 bereits 61,8 Milliarden Euro jährlich durch arbeitsunfähige Mitarbeiter*innen verursacht wurden (s. Statista, 2020).
Da ein hoher Anteil von stressbedingten Erkrankungen ausgelöst wird, kann vermutet werden, dass diese Zahlen durch die Reduktion von Dauerstress dezimiert werden würden.
„Seit 1996 haben Firmen nach dem Arbeitsschutzgesetz die Verpflichtung, sich neben dem körperlichen auch um das psychische Wohl ihrer Mitarbeiter zu kümmern und für einen mental gesunden Arbeitsplatz zu sorgen.“ (s. Ostermann, 2010, S. 48) In diesem Sinne sollten sich Arbeitgeber*innen aktiv mit der Gefährdung, die durch Stress für ihre Mitarbeiter*innen entsteht, beschäftigen. Auf dieser Grundlage sollten Angebote geschaffen werden, welche zur psychischen Gesundheit der Arbeitnehmer*innen beitragen. Es erscheint mir folgerichtig an dem Ort an Stressbewältigungsstrategien zu arbeiten, an dem Stress auch bei Individuen und deren Systemen entsteht.
Individuelle Auslöser und Auswirkungen von Stress
Jon Kabat-Zinn, der Entwickler der MBSR (Mindfulness-based stress reduction) schreibt in seinem Buch Gesund durch Meditation, dass das Ausmaß in dem wir Stress empfinden im vollen Umfang davon abhängt, wie wir die Dinge wahrnehmen und mit ihnen umgehen. Es wird davon beeinflusst, wie das Kräfteverhältnis von dem äußeren Stressor und dem inneren Vermögen diese zu bewältigen beurteilt wird. Nach Kabat-Zinn hat jedes Individuum die Macht dazu dieses Verhältnis selbst neu zu definieren. Am Anfang dieses Prozesses steht das Erkennen von Stress (vgl. Kabat-Zinn, 2013, S.115).
Darin liegt aus meiner Sicht ein großes Geschenk. Wir können uns dazu befähigen die empfundene Fremdbestimmung und Überforderung, die von Stress ausgeht zu überwinden und in ein selbstbestimmtes, kontrollierbares Gefühl von Anforderung und Bewältigung kommen. Die Herausforderung besteht darin, dass wir es lernen müssen.
Trotz individueller Auslöser für Stress, gibt es sogenannte Stressoren, die bei vielen Menschen zu einem Empfinden von Stress führen.
Laut der Geschäftsstelle der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz (2015) werden folgende allgemeinen Stressoren benannt:
• zu große Variabilität der Aufgaben
• zu hohe Qualifikationserfordernisse
• Monotonie
• Unterbrechungen
• geringer Zeitspielraum
• Probleme bei der Arbeitsorganisation, Arbeitsablauf
(Zeitdruck, Taktbindung)
• Probleme in der Kommunikation und Kooperation
• Umgebungsbelastungen
• Unfallgefährdung
• Unsicherheit, Verantwortung
• starke emotionale Inanspruchnahme
• Information/Informationsangebot
• zu lange Arbeitszeiten (s. Greif, 2018, S. 565)
Das transaktionale Stressmodell nach Lazarus

Das Modell wurde von dem Psychologen Richard Lazarus 1984 veröffentlicht.
Das transaktionale Stressmodell von Richard Lazarus ist eine Theorie, die sich mit der Entstehung von Stress und der Bewältigung von Stress beschäftigt. Es geht davon aus, dass Stress ein Ergebnis der Beziehung zwischen einem Individuum und seiner Umwelt ist und dass dieser Prozess durch die individuelle Bewertung und Interpretation von Stressoren bestimmt wird.
Das Modell basiert auf zwei Hauptkonzepten: primäre und sekundäre Bewertungen. Primäre Bewertungen beziehen sich auf die Wahrnehmung von Ereignissen als potenziell schädlich oder bedrohlich für das Wohlbefinden einer Person. Sekundäre Bewertungen beziehen sich auf die Einschätzung der Ressourcen, die einer Person zur Bewältigung einer stressigen Situation zur Verfügung stehen.
Das Modell besagt, dass individuelle Unterschiede in der Wahrnehmung von Stressoren und in der Fähigkeit zur Bewältigung von Stress eine Rolle bei der Entstehung von Stress und der Entstehung von Stressreaktionen spielen. Es betont auch die Bedeutung von Bewältigungsstrategien, die dazu beitragen können, den Stress zu reduzieren und die Auswirkungen von Stress auf das Wohlbefinden einer Person zu minimieren.
Das Modell umfasst auch die Idee der Coping-Strategien, die die Person einsetzt, um mit dem Stress umzugehen. Lazarus unterscheidet zwischen Problem-Fokussiertem Coping, das darauf abzielt, die Quelle des Stressors zu ändern und Emotion-Fokussiertem Coping, das darauf abzielt, die emotionalen Auswirkungen des Stressors zu verarbeiten (vgl. Wikipedia, 2021, Stressmodell nach Lazarus) .
Das transaktionale Stressmodell begründet sich meines Erachtens auf der Grundlage der konstruktivistischen Weltanschauung. Die Individualität der Wahrnehmung und die dareingefundene Unterschiedlichkeit beschreibt in Anteilen das konstruktivistische Denken. Das Modell fußt somit in einer der Grundannahmen der systemischen Beratung. Die konstruktivistische Grundlage der systemischen Beratung basiert auf der Annahme, dass die Realität durch den Prozess des Konstruierens geschaffen wird und dass jeder Mensch eine subjektive Sicht der Welt hat. Dies bedeutet, dass die Art und Weise, wie eine Person eine Situation wahrnimmt und interpretiert, entscheidend für die Art und Weise ist, wie sie sich verhält und wie sie mit Problemen umgeht (vgl. Kleve, 2010, S.141).
Quellen:
Ernst , Gundula; Franke , Alexa; Franzkowiak, Peter (2022): Stress und Stressbewältigung. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Online: https://leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/stress-und-stressbewaeltigung/ (Abruf: 25.01.23)
DAK – Gesundheit (2019): DAK-Psychoreport 2019: dreimal mehr Fehltage als 1997. unter: https://www.dak.de/dak/bundesthemen/dak-psychoreport-2019-dreimal-mehr-fehltage-als-1997-2125486.html#/ (Abruf 23.12.22)
Kabat-Zinn, Jon (2013): Gesund durch Meditation. Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR. München: Knaur Messana Verlag
Kleve, Heiko (2010): Konstruktivismus und Soziale Arbeit. Einführung in Grundlagen der systemisch-konstruktivistischen Theorie und Praxis. 4. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Springer Medien
Ostermann, Doris (2010): Gesundheitscoaching. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Rehberg, C., Zentrum der Gesundheit (2022): Schon ein bisschen Stress macht krank. Online: https://www.zentrum-der-gesundheit.de/news/gesundheit/allgemein-gesundheit/stress-chronisch-krank (Abruf: 23.12.23)
Statista (2020): Nier, Hedda: Kranke Mitarbeiter kosten Arbeitgebern immer mehr Geld. https://de.statista.com/infografik/20494/entgeltfortzahlungen-von-arbeitgebern-bei-krankheit/ (Abruf: 20.12.23)
Abbildung 1: Wikipedia, N.B. (2021): Stressmodell von Lazarus. Online: https://de.wikipedia.org/wiki/Stressmodell_von_Lazarus (Abruf: 22.01.2023)
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